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Änderung im ÜbG – Kommentare zur neuen „Creeping in“ Regelung
Am 1. Juli 2022 traten Änderungen des österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG) in Kraft
Am 1. Juli 2022 traten Änderungen des österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG) in Kraft. Die ÜbG-Novelle wurde im Wesentlichen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausgelöst und regelt den Instanzenzug gegen Bescheide der Übernahmekommission (ÜbK) neu. Der neue Gesetzestext enthält jedoch auch eine Änderung der Regelungen zum Creeping-in, einem Rechtsbereich, der meist nur kapitalmarktrechtlichen Feinschmeckern und ausgewiesenen Übernahmerechtsexperten ein Begriff war.
Zum Instanzenzug:
Bislang konnten Entscheidungen der Übernahmekommission gemäß § 30a ÜbG nur durch Rekurs an den OGH bekämpft werden. Das Urteil des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren C-546/18 hat den österreichischen Gesetzgeber jedoch zum Handeln gezwungen.
Mit der bereits in Kraft getretenen Novelle können Entscheidungen der Übernahmekommission nun zuerst mit Rekurs an das OLG Wien und die Entscheidung des OLG Wien gemäß § 30a Abs 4 ÜbG mit Revisionsrekurs an den OGH bekämpft werden. Bisher war lediglich der bloße Rekurs an den OGH möglich und somit keine Europarechtskonformität gegeben.
Mit dem neuen Instanzenzug wird die Möglichkeit geschaffen, auch Tatsachenfeststellungen der Übernahmekommission zu bekämpfen. Außerdem wird der Übernahmekommission die Möglichkeit eingeräumt, die grundsätzliche aufschiebende Bedingung des Rekurses gegen eine Entscheidung auszuschließen, um in gewissen (notwendigen) Fällen die vorläufige Verbindlichkeit der jeweiligen Entscheidung zu erreichen.
Zum Creeping-in:
Mit der Novelle wurden auch die Bestimmungen zum Creeping-in teils geändert bzw angepasst, um (laut Erläuterungen zum Ministerialentwurf) die betreffenden Regelungen in Teilbereichen zu liberalisieren und in der Praxis besser handhabbar zu gestalten.
Der Creeping-in Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Kernaktionär (oder eine Kernaktionärsgruppe), der über die Kontrolle über ein börsennotiertes Unternehmen, jedoch (noch) nicht über die Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschaft (demnach mehr als 50%) verfügt, günstige Marktsituationen oder aber eine bereits vor Inkrafttreten des ÜbG bestehende kontrollierende Stellung ausnützt, um die Kontrolle über die Gesellschaft schrittweise auszubauen, ohne jedoch den übrigen Aktionären jemals den Austritt aus der Gesellschaft zu ermöglichen.
Darüber hinaus ist es Zweck der Creeping-in Regelung, dass der Kernaktionär – im Sinne des Gleichbehandlungsgebots – nicht einzelnen (zB ihm besonders unangenehmen) Paketaktionären den Austritt aus der Gesellschaft zu besonders attraktiven Konditionen ermöglicht. Diese Verbote galten aber auch bisher mit gewissen Einschränkungen, die der Gesetzgeber nun erweitert. Im Einzelnen soll nun Folgendes gelten:
- In § 22 Abs 4 ÜbG wird klargestellt, dass ein Aktionär mit formal kontrollierender Beteiligung (also einer solchen über 30% der stimmberechtigten Aktien) auch über einen beherrschenden Einfluss verfügen muss, um überhaupt der Creeping-in Regelung zu unterfallen. Verfügt daher zB ein anderer Aktionär über ein größeres Stimmrechtspaket oder sind in der Hauptversammlung der Gesellschaft regelmäßig so viele Aktionäre anwesend, dass der formal kontrollierende Aktionär tatsächlich über keine Stimmenmehrheit verfügt, so kommt die Creeping-in Regelung nicht zur Anwendung. Dies entspricht allerdings der bereits bisher herrschenden Auffassung (siehe Zollner, Creeping-in und Angebotspflicht – Zweifelsfragen zu Saldierung und gruppeninternen Transaktionen, GES 2021, 279).
- Darüber hinaus soll es einem kontrollierenden und beherrschenden Kernaktionär gestattet sein, nunmehr 3% stimmberechtigte Aktien (anstelle von bisher 2%) hinzuzuerwerben, und zwar innerhalb eines Kalenderjahres und gemessen am Aktienstand des letzten Tages des vorangegangenen Kalenderjahres. Bisher war nicht das Kalenderjahr ausschlaggebend, sondern kam eine revolvierende Zeitperiode von einem Jahr zur Anwendung. Im Ergebnis kann ein Kernaktionär daher innerhalb von 12 Monaten (nicht jedoch einem Kalenderjahr) sogar wesentlich mehr als 3% stimmberechtigte Aktien hinzuerwerben (zB im Dezember Erwerb von 2,5% stimmberechtigten Aktien und im Jänner Erwerb von weiteren 2,5% stimmberechtigten Aktien) ohne ein Pflichtangebot stellen zu müssen.
- Künftig werden Veräußerungen von Aktien im jeweiligen Kalenderjahr bei der Berechnung, ob die 3%-Schwelle überschritten wurde, jedenfalls berücksichtigt. Es ist somit eine Saldierung vorzunehmen. Folglich muss nicht jeder Beteiligungsausbau von zumindest drei Prozent zu einer Angebotspflicht führen. Wird die 3% Schwelle durch Abzug der veräußerten stimmberechtigten Aktien im Vergleich zum letzten Tag des vorangegangenen Kalenderjahrs wieder unterschritten, wird keine Angebotspflicht ausgelöst. Erst bei absoluter Überschreitung der „Dreiprozenthürde“ (im Vergleich zur Beteiligung zum letzten Tag des vorangegangenen Kalenderjahrs) muss ein Pflichtangebot gelegt werden. Die unbeschränkte Saldierung der Erwerbs- und Veräußerungsvorgänge von Aktien) im Zusammenhang mit einem Creeping-in gemäß § 22 Abs 4 ÜbG räumt dem Kernaktionär (im Vergleich zur alten Rechtslage) erhebliche Spielräume für taktische Beteiligungsveränderungen ein, die bislang nicht vorhanden waren bzw. eine Angebotspflicht ausgelöst hätten. Zwar waren Saldierungen von Erwerben und Verkäufen gemäß in der übernahmerechtlichen Praxis schon bisher im Einzelfall zulässig, jedoch beschränkt auf Fälle, in denen die Verkäufe im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Erwerben standen. Dementsprechend hat die ÜbK in ihrer Stellungnahme zur Novelle eine Einschränkung der Saldierungsmöglichkeit auf solche Fälle vorgeschlagen.
- Schließlich stellt das Übernahmegesetz nun klar, dass die in § 25 Abs 1 Z 1-6 aufgelisteten Fälle der Ausnahme von der Angebotspflicht sinngemäß auch bei Creeping-in zur Anwendung kommen. Dies betrifft zB den Fall der Sanierungsausnahme gem § 25 Abs 1 Z 2: baut daher ein Kernaktionär seine Kontrolle im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen bei einer sanierungsbedürftigen Gesellschaft aus, so kann er von der Angebotspflicht ausgenommen sein. Freilich: auch dies galt bereits bisher, wenn auch nicht ausdrücklich geregelt (Diregger/Kalss/Winner in Das österreichische Übernahmerecht², Rz 223). Der Gesetzgeber hat in § 25 Abs 1 schließlich noch zwei weitere Ausnahmetatbestände geschaffen, und zwar (i) für den Fall des bloß kurzfristigen Unterschreitens und anschließenden erneuten Überschreitens der 50%-Schwelle sowie (ii) zur Vermeidung von Mehrfachangeboten im zeitlichen Zusammenhang eines Creeping-in Pflichtangebots.
Im Ergebnis sorgt die Übernahmerechts-Novelle an zahlreichen Stellen für Klarheit in der Praxis und leichterer Handhabung und Überwachung (insbesondere auch zur Vermeidung) von Creeping-in Tatbeständen innerhalb des Konzerns oder Syndikats, nimmt dafür jedoch an einzelnen Stellen eine Herabsetzung des Minderheitenschutzes in Kauf.