1. Rechtliche Ausgangslage

In der österreichischen Rechtspraxis wurde das Anbieten von Beitritten zu Gruppenversicherungsverträgen bisher nicht als gewerbepflichtige Tätigkeit der Versicherungsvermittlung (§ 137 GewO) verstanden. Gruppenversicherungen finden ihre praktische Relevanz vor allem im Bereich der betrieblichen Kranken-[1] und Unfallversicherung, der Arbeitgeber-Pensionsversicherung, aber auch D&O-Versicherungen[2] oder Kreditrestschuldversicherungen werden häufig als Gruppenversicherung ausgestaltet.

Bei der bisher scheinbar nicht-reglementierten Vermittlung von Gruppenversicherungsverträgen wurde die Gruppenversicherung von einem Anbieter abgeschlossen, der daraufhin um weitere Beitritte zu dieser geworben hat. Diese Tätigkeit bedurfte bislang keiner besonderen Berechtigungen (anders als die gewerbliche Versicherungsvermittlung, die ein reglementiertes Gewerbe darstellt).

2. EuGH-Urteil – Rs C‑633/20

Der EuGH hat sich in einer am 29. September 2022 veröffentlichten Entscheidung nunmehr zu dieser Art des Vertriebs von Gruppenversicherungen geäußert. Dabei stellte er fest, dass auch das geschilderte Werben um Beitritte zu einer zuvor durch den Anbieter abgeschlossenen Gruppenversicherung unter den Begriff der Versicherungsvermittlung fällt – und eben nicht von diesem ausgenommen ist, wie bisher angenommen.

Der Ausgangspunkt des Verfahrens war der Abschluss eines Gruppenversicherungsvertrages durch eine deutsche Gesellschaft, die den Beitritt zu Reisekranken- und ‑rückholversicherungen anbietet. Der Versicherungsnehmer warb bei Verbraucher:innen, dieser Gruppenversicherung beizutreten. Die Prämienleistungen der angeworbenen Verbraucher:innen sollten in Summe die Prämien der Gruppenversicherung decken. Der Versicherungsnehmer erhielt ein Entgelt für den Beitritt der Verbraucher:innen.[3]

Der EuGH hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Versicherungsvertrieb das Beraten, Vorschlagen oder Abschließen von Versicherungsverträgen, das Durchführen von Vorbereitungshandlungen dazu und das Mitwirken an deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall, umfasst.[4] Versicherungsvermittlung erfolgt gegen Vergütung.[5] Der EuGH geht von einem weiten Vergütungsbegriff aus, der jegliche Art von finanziellen oder nicht finanziellen Vorteilen für die Vermittlung umfasst.[6] Entgeltliche Vermittlung liegt daher vor, wenn es zu einer Zahlung an den Anbieter kommt, an der dieser ein wirtschaftliches Interesse hat.[7] Die Entscheidung wird des Weiteren damit begründet, dass der Schutz der Versicherungsnehmer:innen nicht davon abhängig sein soll, ob sie den Versicherungsschutz im Rahmen einer selbstständig abgeschlossenen Polizze oder im Rahmen einer Gruppenversicherung erworben haben.[8]

3. Konsequenzen

Dieses Urteil des EuGH zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Für in Österreich gelebte Geschäftsmodelle dieser Art bedarf es einer Gewerbeberechtigung als Versicherungsvermittler nach der österreichischen Gewerbeordnung. Dafür ist eine Reihe an Voraussetzungen und Nachweisen zu erbringen. Die betroffenen Unternehmen fallen sodann unter die Aufsicht der Gewerbebehörde.

Auch müssen bei der Vermittlung des Beitritts zur Gruppenversicherung die Bestimmungen der IDD hinsichtlich der Beratung vor Vertragsabschluss beachtet werden. Dies führt zu einem erheblichen Mehr an „Aufwand“.

Dennoch wird dieses Urteil nicht bedeuten, dass sämtlich Vertriebsaktivitäten im Zusammenhang mit Gruppenversicherungen automatisch einer entsprechenden Gewerbeberechtigung bedürfen. Allenfalls könnte auf Tatsachenebene versucht werden, die Anwendung der Gewerbebestimmungen abzubedingen, etwa wenn die Vermittlung unentgeltlich – allenfalls durch einen Verein – erfolgt. Dies wird jedoch für die meisten betroffenen und auf Gewinn gerichteten Vermittler kein gangbarer Weg sein. Es werden sich sicherlich alsbald Best Practice-Modelle etablieren, um für diesen Bereich auch zukünftig Rechtssicherheit zu gewährleisten.


[1] Vgl § 178m VersVG.

[2] OGH 6 Ob 35/18k = ZFR 2018/191 (Fidler).

[3] EuGH C‑633/20 Rz 16 bis 23.

[4] EuGH C‑633/20 Rz 35.

[5] EuGH C‑633/20 Rz 36; Art 2 Abs 1 Z 3 RL 2016/97.

[6] EuGH C‑633/20 Rz 38.

[7] EuGH C‑633/20 Rz 41.

[8] EuGH C‑633/20 Rz 49.