Die neue „Nachhaltigkeitsausnahme“ im österreichischen Kartellrecht soll kartellrechtskonforme Kooperationen zu Nachhaltigkeitszwecken ermöglichen. Die neuen Leitlinien der BWB schaffen mehr Rechtssicherheit bezüglich der selbst zu beurteilenden Voraussetzungen.

Kartellrechtlicher Hintergrund:

  • 1 Abs 1 Kartellgesetz (KartG) verbietet Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, sofern diese Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken oder bewirken („Kartellverbot“). Von vornherein erlaubt sind daher Nachhaltigkeitskooperationen, die ohnehin keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Die Schwelle für wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen ist allerdings niedrig anzusetzen – es genügt, dass eine solche Kooperation zwischen Unternehmen „spürbare“ negative Auswirkungen auf mindestens einen Wettbewerbsparameter des Marktes (zB Preis oder Innovation) hätte oder wahrscheinlich haben könnte. Ausgenommen vom Kartellverbot sind außerdem Kooperationen zwischen Wettbewerbern bei gemeinsamen Marktanteil von < 10% sowie zwischen Nicht-Wettbewerbern bei jeweiligem Marktanteil von < 15%, sofern weder die Festsetzung der Verkaufspreise, die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes noch die Aufteilung der Märkte bezweckt wird („Bagatellausnahme“ – § 2 Abs 2 Z 1 KartG).

Kooperationen, die unter das Kartellverbot fallen, sind jedoch nicht zwangsläufig rechtswidrig. Vielmehr können sie rechtskonform umgesetzt werden, wenn sämtliche Rechtfertigungskriterien des § 2 Abs 1 KartG erfüllt werden. In der Praxis stellt dabei häufig das Kriterium „angemessene Verbraucherbeteiligung“ die größte Hürde für die Rechtfertigung dar – vor allem wenn mit einer Kooperation Klimaschutzziele verfolgt werden. Im Hinblick auf die nationalen und europäischen Klimaschutzziele wurde daher im Zuge der Kartellrechtsnovelle 2021 normiert, dass dieses Kriterium auch durch ökologische Vorteile erfüllt sein kann – dies sei laut den Gesetzesmaterialien gerechtfertigt, weil solche Auswirkungen „per se der Allgemeinheit zukommen, mag dies unter Umständen auch erst zeitlich versetzt – nämlich für künftige Generationen – der Fall sein.

Konkrete Voraussetzungen für kartellrechtskonforme Nachhaltigkeits-Kooperation

Im Folgenden finden sich ein Überblick zu den kumulativen Voraussetzungen für die Nachhaltigkeitsausnahme, die von der BWB in ihren kürzlich veröffentlichten Leitlinien für Nachhaltigkeitskooperationen näher konkretisiert wurden.

  • Erzielung von Effizienzgewinnen durch die Kooperation: Die Kooperation muss zur „Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“ beitragen und dafür auch kausal ist. Solche Effizienzgewinne müssen objektive Vorteile darstellen, die sowohl monetärer (zB Synergieeffekte bei der Umsetzung von gemeinsamer Klimaschutz-Projekte) als auch nicht-monetärer Natur (zB Klimaschutz durch nachhaltige oder CO2-sparende Gestaltung von Produktionsprozessen) sein können.

 

  • Unerlässlichkeit der Einschränkungen des Wettbewerbs: Die mit der Kooperation einhergehenden Wettbewerbsbeschränkungen müssen unerlässlich sein, um die Effizienzgewinne zu erzielen. Das Kriterium ist nicht erfüllt, wenn es alternative, weniger wettbewerbsbeschränkende Möglichkeiten gäbe, dieselben Effizienzgewinne zu erzielen.

 

  • Angemessene Beteiligung der Verbraucher: Der Effizienzgewinn muss zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft beitragen, selbst wenn sich der positive Effekt nicht unmittelbar zugunsten der betroffenen Konsumenten, sondern erst für spätere Generationen zeigt. Die BWB nennt in ihren Leitlinien insbesondere folgende Beispiele für „ökologische Nachhaltigkeitsziele“: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Verminderung von Umweltverschmutzung und Vermeidung von Umweltschäden. Zusätzlich wird gefordert, dass der aus der Kooperation entstehende Effizienzgewinn „wesentlich“ zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft beiträgt. Dies ist anzunehmen, wenn die Effizienzgewinne aus den ökologischen Vorteilen die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb am betroffenen Markt zumindest ausgleichen.

 

  • Keine Ausschaltung des Wettbewerbs: Die Kooperation darf den Beteiligten nicht die Möglichkeit eröffnen, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren oder Dienstleistungen auszuschließen. Es muss also ein Restwettbewerb am relevanten Markt fortbestehen, was laut den Leitlinien der BWB anzunehmen ist, wenn die Beteiligten „mindestens einem wichtigen Aspekt des Wettbewerbs weiterhin in starkem Wettbewerb stehen oder ausreichend Wettbewerb durch nicht an der Kooperation beteiligte Unternehmen existiert“.

Risiken bei Inanspruchnahme der Nachhaltigkeitsausnahme

Österreichisches Kartellrecht – und damit auch die Nachhaltigkeitsausnahme – ist nur anzuwenden, sofern nicht das vorrangige EU-Kartellrecht anwendbar ist. Dies ist der Fall, wenn eine Kooperation geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen – was in der Praxis häufig zu schwierigen bzw. unsicheren Abgrenzungen führt. Nach EU-Kartellrecht bestehen im Allgemeinen sehr ähnliche Rechtfertigungsvoraussetzungen – eine vergleichbare „Nachhaltigkeitsausnahme“ gibt es allerdings nicht. Die Europäische Kommission hat jedoch kürzlich einen Entwurf neuer Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit veröffentlicht (Leitlinien sind kartellrechtliches „soft law“) und darin der möglichen Rechtfertigung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen ein eigenes Kapitel gewidmet – allerdings sind diese Leitlinien noch nicht in Kraft.

Unternehmen müssen das Vorliegen der Voraussetzungen für kartellrechtskonforme Nachhaltigkeits-Kooperation selbst beurteilen, weshalb ein gewisses Restrisiko von Kartellverstößen verbleiben kann. Für den Fall, dass Zweifel an der Zulässigkeit bestehen sollten, kann die BWB – vor dem Vollzug der Kooperation – um informelle und unverbindliche Einschätzung nach § 2 Abs 5 Wettbewerbsgesetz ersucht werden, worauf auch ausdrücklich in den Leitlinien der BWB hingewiesen wird.