Das EU-Beihilfenrecht ist im öffentlichen Sektor ein wesentlicher Compliance-Aspekt. Um beträchtliche finanzielle Risken im Falle einer Rückforderung zu vermeiden, ist zu empfehlen, bei allen Projekten und Maßnahmen vorab beihilfenrechtliche Implikationen zu prüfen.

Art. 107 AEUV normiert ein grundsätzliches Verbot staatlicher Beihilfen ohne vorheriger Notifikation an die Europäische Kommission. Jede Transaktion bzw. Zuwendung von staatlichen Stellen und öffentlichen Unternehmen kann den Schranken des EU-Beihilfenrechts unterliegen. Relevant ist dies etwa in folgenden Konstellationen:

  • Öffentliche Unternehmen: Zuschüsse, Darlehen oder Garantien von Gesellschaftern, Ergebnisabführungsverträge, konzerninterne Leistungsbeziehungen
  • Transaktionen staatlicher Stellen/öffentlicher Unternehmen: M&A-Prozesse, Dienstleistungsverträge, Bestandverträge, Immobilien-Transaktionen
  • Finanzierung und Bereitstellung öffentlicher (kommunaler) Infrastruktur
  • Betrauungsakte und Ausgleichsmodelle für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge („DAWI“)

Risiken bei rechtswidrigen Beihilfen

Für Beihilfenempfänger drohen schwerwiegende Konsequenzen, wenn sich Beihilfen nachträglich als rechtswidrig erweisen: Rechtswidrig gewährte Beihilfen sind bis zu zehn Jahre nach deren Gewährung zurückzufordern (insb. wenn die Europäische Kommission dies einem Mitgliedstaat verbindlich anordnet). Die Rückforderung umfasst stets auch Zinsen und Zinseszinsen für den Zeitraum zwischen Gewährung und Rückforderung. Außerdem sind in diesem Fall die zugrundeliegenden Verträge mit Nichtigkeit bedroht. Bei rechtswidrigen Beihilfen besteht zusätzlich das Risiko, dass Mitbewerber des Beihilfenempfängers mit Unterlassungsund Beseitigungsklagen nach dem UWG vorgehen.

Wann sind Beihilfen zulässig?

Transaktionen bzw. Zuwendungen von staatlichen Stellen und öffentlichen Unternehmen unterliegen keinen beihilfenrechtlichen Schranken, wenn der Tatbestand der staatlichen Beihilfe nicht erfüllt ist. Ob dies der Fall ist, ist – abgesehen von ganz klaren Fällen – i. d. R. in rechtlichen Gutachten zu analysieren. Ausgenommen ist z. B. die Finanzierung von hoheitlichen und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten (letzteres sind Tätigkeiten, für die es keinen Markt gibt). Ebenso ausgenommen sind fremdübliche Transaktionen, weil diese keine beihilfenrechtlich relevante Begünstigung vermitteln. Ist eine Maßnahme eine tatbestandsmäßige staatliche Beihilfe, kann diese der Europäischen Kommission notifiziert und nach Genehmigung durchgeführt werden.

Die Notifikationspflicht entfällt jedoch in vielen Fällen, wenn eine Freistellung anwendbar ist: In der EU wird ein Großteil der neuen tatbestandsmäßigen Beihilfen auf Grundlage der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (kurz: „AGVO“) gewährt. Erfüllt eine staatliche Beihilfe die allgemeinen sowie auch die kategoriespezifischen AGVO-Voraussetzungen (insb. die Beihilfen-Höchstbeträge pro Kategorie), gilt sie als beihilfenrechtlich zulässig und kann ohne Notifikation gewährt werden.

Betriebswirtschaftliche Nachweise

Die Beurteilung der Konformität einer staatlichen Maßnahme ist zumeist untrennbar mit wirtschaftlichen Fragestellungen verbunden. Denn eine beihilfenrechtlich relevante Begünstigung kann etwa dann vorliegen, wenn ein Gesellschafterzuschuss durch ein öffentliches Unternehmen ohne fremdübliche Renditeaussichten oder ein M&A-Prozess (aus Sicht des öffentlichen Unternehmens) zu einem zu hohen Kauf- bzw. zu niedrigen Verkaufspreis erfolgt.

Hier können kaufmännische Analysen und Nachweise der Fremdüblichkeit durch Unternehmensberater oder Wirtschaftsprüfer Abhilfe schaffen. In einem sog. „Market Economy Operator Test“ wird mittels Benchmarking oder anderer betriebswirtschaftlicher Methoden geprüft, ob eine objektive Fremdüblichkeit angenommen werden kann, was zum Entfall der beihilfenrechtlichen Schranken führt. Wesentlich sind in allen Fällen ein belastbares Zahlenwerk und eine transparente Herleitung der kaufmännischen Grundlagen und Argumente.

DAWI-Finanzierung

Leistungen der Daseinsvorsorge („Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“, kurz: „DAWI“) können häufig nur erbracht werden, wenn sie vom Staat entsprechend gefördert werden. Dementsprechend ist die Finanzierung von DAWI in verschiedener Hinsicht beihilfenrechtlich privilegiert (sofern dies entsprechend aufgesetzt ist). Werden etwa die Voraussetzungen des „DAWI-Beschlusses“ der Europäischen Kommission eingehalten, können – ohne vorherige Notifikation – Ausgleichsmodelle in sog. „Betrauungsakten“ vorgesehen werden, was eine Verlustabdeckung zzgl. der Gewährung eines angemessenen Gewinns ermöglicht. Auch hier sind i. d. R. betriebswirtschaftliche Nachweise erforderlich (Vermeidung von Über- und Quersubvention, verpflichtende Trennungsrechnungen).

Covid-19-Beihilfen – Rückforderungen

Beihilfenrechtliche Risiken bestehen auch im privaten Sektor: Derzeit sind zahlreiche Unternehmen dem Risiko der Rückforderung von Covid-19-Beihilfen ausgesetzt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Höchstbeträge für diese Förderungen nicht pro juristischer Person, sondern pro Unternehmensverbund galten (was sich unmittelbar aus dem EU-Beihilfenrecht ergibt, allerdings den österreichischen Förderrichtlinien nicht ausdrücklich zu entnehmen war). Diesbezüglich ist zu empfehlen, die Einschätzungen bzw. Annahmen der COFAG durch Rechtsexpert:innen überprüfen zu lassen, weil mitunter Rückforderungen in Millionenhöhe drohen können. Jedenfalls ist darauf zu achten, dass die von der COFAG eingeforderten Selbstauskünfte wahrheitsgetreu abgegeben werden (andernfalls drohen sogar strafrechtliche Konsequenzen).

Conclusio

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das EU-Beihilfenrecht ein nicht zu unterschätzendes Compliance-Risiko darstellt (dies insb. dann, wenn nicht evident ist, dass eine konkrete Maßnahme den beihilfenrechtlichen Schranken unterliegen könnte). Um beträchtliche finanzielle Risiken zu vermeiden, empfiehlt es sich, diesbezüglich bei allen Projekten im öffentlichen Sektor rechtliche und (falls erforderlich) auch betriebswirtschaftliche Expertise einzuholen.

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