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EuGH: Neues zur Reduktion von laufzeitunabhängigen Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung eines Kredits
14. Februar 2023
Der EuGH hat sich in der rezenten Entscheidung C-555/21 UniCredit Bank Austria AG mit der Reduktion von laufzeitunabhängigen Kosten bei der vorzeitigen Rückzahlung eines Kredits beschäftigt. Dies ist – nach Lexitor – bereits die zweite EuGH-Entscheidung zu diesem Thema binnen weniger Jahre. Dieser Beitrag vergleicht beide Entscheidungen und stellt die Argumentation des EuGH sowie mögliche Folgen der neuesten Entscheidung dar.
1. Ausgangslage Verbraucherkredit (Lexitor)
Im Zuge des Lexitor-Urteils beschäftigte sich der EuGH im Jahr 2019 mit der Frage, ob laufzeitunabhängige Kosten eines Verbraucherkredits entsprechend reduziert werden müssen, wenn der Kredit vorzeitig vollständig rückgezahlt wird. Rechtsgrundlage für diese Frage war Art 16 Abs 1 Verbraucherkredit-RL (RL 2008/48/EG): Im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. Der EuGH entschied, dass unter „Gesamtkosten“ sämtliche dem Verbraucher auferlegten Kosten verstanden werden, somit Zinsen, laufzeitabhängige und laufzeitunabhängige Kosten. Der Kreditgeber soll nicht die Möglichkeit haben, die Reduktion der Kosten bei vorzeitiger Rückzahlung zu verhindern, indem er bestimmte Kosten als laufzeitunabhängig ausweist. Laufzeitabhängige Kosten oder Zinsen könnten andernfalls niedriger bemessen und stattdessen durch höhere einmalige Kosten kompensiert werden, die bei einer vorzeitigen Rückzahlung nicht reduziert werden müssten. Daher sprach sich der EuGH in Lexitor für die Reduktion aller Kosten aus, inkl laufzeitunabhängiger Kosten.
2. Hypothekar- und Immobilienkredit (UniCredit Bank Austria AG)
Der österreichische Gesetzgeber ersetzte daraufhin nicht nur im VKrG, sondern auch in § 20 Abs 1 HIKrG in der Formulierung „laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig“ „laufzeitabhängige Kosten“ durch „die Kosten“, um entsprechend Lexitor alle Kosten zu erfassen.[1] In der rezenten Entscheidung UniCredit Bank Austria AG beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, ob eine nationale Regelung zulässig ist, wonach nur laufzeitabhängige Kosten eines Verbraucher-Hypothekar- und Immobilienkredits reduziert werden müssen, nicht aber laufzeitunabhängige Kosten. Der gegenständliche Sachverhalt bezieht sich dabei noch auf die Rechtslage vor der Änderung nach Lexitor.
Der EuGH differenziert zwischen Verbraucherkrediten, wie im Fall Lexitor, und Hypothekar- und Immobilienkrediten, die laut EuGH Besonderheiten aufweisen, die entsprechend zu berücksichtigen sind.[2] Solche Besonderheiten sind etwa spezielle Warnungen hinsichtlich Risiken durch Wechselkursschwankungen oder eine Bonitätsprüfung, die deutlich schärfer ausfallen, als bei Verbraucherkrediten.[3] Der Kreditnehmer soll durch die vorzeitige Rückzahlung nicht in den Genuss besserer Konditionen kommen, sondern es soll der Vertrag lediglich an die geänderten Umstände angepasst werden.[4] Er soll nicht die Möglichkeit bekommen, durch eine vorzeitige Rückzahlung die Kosten für bereits vollständig erbrachte Leistungen reduzieren zu können.[5]
Hinzu kommt, dass beim Abschluss von Verbraucher-Hypothekar- und Immobilienkrediten ein sog ESIS-Merkblatt zur vorvertraglichen Information verwendet werden muss. In diesem Merkblatt werden die Kosten danach aufgeschlüsselt, ob sie laufzeitabhängig oder laufzeitunabhängig sind. Laut EuGH wird der Kreditgeber dadurch in seiner Fähigkeit eingeschränkt, die Kosten für den Kredit so zu organisieren, dass möglichst hohe laufzeitunabhängige und möglichst niedrige laufzeitabhängige Entgelte verrechnet werden können. Eine solcherart detaillierte Aufschlüsslung ist im Standardinformationsblatt der Verbraucherkredit-RL (RL 2008/48/EG), zu der Lexitor erging, nicht vorgesehen.[6]
Aus diesen Gründen kommt der EuGH bei Verbraucher-Hypothekar- und Immobilienkrediten – anders als bei Verbraucherkrediten – zum Schluss, dass die laufzeitunabhängigen Kosten bei einer vorzeitigen vollständigen Rückführung des Kredits nicht reduziert werden müssen. Zwingend sind nur die Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten an die kürzere Laufzeit anzupassen. Dies bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass Mitgliedsstaaten keine Regelungen vorsehen dürfen, die für die Kunden ein weiterreichendes Recht auf Kostenreduktion vorsehen. Dies ist etwa durch die aktuelle österreichische Regelung des § 20 HIKrG der Fall. Somit sind in Österreich sämtliche Kosten anteilig zu reduzieren, wenn der Kredit vorzeitig zurückgezahlt wird. Dies betrifft etwa auch Bearbeitungsgebühren der Bank[7]. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber den § 20 HIKrG nach dieser EuGH-Entscheidung in seiner aktuellen Form belässt, oder ihn wieder nur auf laufzeitabhängige Kosten beschränkt.
[1] BGBl. I Nr. 1/2021.
[2] EuGH C-555/21 UniCredit Bank Austria AG Rz 28.
[3] ErwGr 22 RL 2014/17/EU.
[4] EuGH C-555/21 UniCredit Bank Austria AG Rz 30.
[5] EuGH C-555/21 UniCredit Bank Austria AG Rz 31.
[6] Vgl. Anhang I, II und III Richtlinie 2008/48/EG.
[7] Beham, Richtlinienkonforme Auslegung und nationaler Auslegungsprotektionismus: Vermeidungsstrategien in der Umsetzung des Lexitor-Urteils in der Anwendung des Verbraucherkreditgesetzes/Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes, ZFR 2021/45 116 (117).